Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt…
Ich muss etwas gestehen: Das erste Mal als ich den Genter Altar persönlich sah, war 2017 als ich dem Renovierungs- und Restaurierungsprojekt beitrat. Ich schäme mich fast, es zu gestehen, denn ich bin gebürtige Genterin, habe Kunstwissenschaften studiert und natürlich viel über den Genter Altar gelesen. Aber ich hatte es noch nie gesehen.
Das erste Mal sah ich das Werk also im Restaurierungsatelier. Dann stand ich da, Auge in Auge mit diesen Tafeln, ohne dass eine Wand zwischen uns stand. „Gehen Sie näher heran,“ sagten die Restauratoren. Aber ich wagte es fast nicht. An einem solchen Moment kribbelt die Nase und kann man nur denken: nicht niesen, bitte nur nicht niesen…
Flämischer Meister im Bunker
Zu meiner Verteidigung: Ein Besuch des Genter Altars war früher überhaupt nicht angenehm. Seit 1986 war er in der Villa-Kapelle ausgestellt, welche sich beim Betreten der Kathedrale links befindet. In den 1980er Jahren, der Zeit der Killerbande von Brabant und der CCC, gab es eine große Angst vor Attentaten. Deswegen musste eine Art von Bunker in der Kapelle gebaut werden. Aber das Ganze war viel zu klein für die zahlreichen Besucher. Die Alltagsseite der Tafeln konnte man kaum bewundern und schon gar nicht als Rollstuhlfahrer.
Eigentlich hatte van Eyck das von den Auftraggebern Joos Vijd und Elisabeth Borluut finanzierte Werk ursprünglich für die Vijd-Kapelle gemalt, welche sich vorne rechts in der Kathedrale befindet. Das erkennt man, wenn man die großen Figuren auf der Alltagsseite betrachtet: Das Licht fällt oben rechts sanft auf sie ein. Das passt perfekt zu dem damaligen Raum. Im 15. Jahrhundert sahen Besucher fast immer nur die Alltagsseite des Werks. Ganz sittsam. Die Festtagsseite wurde nur ganz ausnahmsweise an Festtagen gezeigt. Können Sie sich vorstellen, wie sehr sich diese Farben damals auf die Besucher auswirkten?
Ob der Genter Altar sich jetzt wirklich am perfekten Ort befindet? Entdecken Sie es selbst und nehmen Sie sich die Zeit dafür. Selbst habe ich die versäumten Besuche schon längst eingeholt.
Im Garten oder unterirdisch?
Aber ja, wo sollten wir das Gemälde jetzt eigentlich unterbringen? Eine Rückkehr in die Vijd-Kapelle war nicht möglich. Zu klein. Auch konnten wir dort keine Glasvitrine anbringen, um Temperatur und Feuchtigkeit zu regulieren, was für die Konservierung eines fast 600 Jahre alten Werks notwendig ist.
Ein Umzug in ein Museum wäre das Einfachste gewesen, aber man kann den Genter Altar ja nicht einfach so aus seinem Zuhause entfernen. Das ist und bleibt die Kathedrale. Im Ausland wurde das mit Meisterwerken wohl gemacht, aber in Gent möchten wir das unbedingt vermeiden. Dieser Plan wurde also nie in Betracht gezogen, aber andere schon. Einen Neubau im Garten des Bischofspalasts errichten? Unterirdisch bauen? Das sind alle verrückte Ideen, über die wir nachgedacht haben.
Das neue Zimmer
Letztendlich entschieden wir uns für die Sakramentskapelle, hinten in der Kathedrale im Hochchor. Sie ist die größte der Kranzkappelen und der südliche Lichteinfall ähnelt diesen aus der Ursprungszeit. Es geht dabei aber hauptsächlich um die Idee, denn eigentlich sollte kein Sonnenlicht mehr auf das Gemälde fallen. Um die Zahl der "Lux-Stunden" zu reduzieren, haben wir sogar einen lichtreflektierenden Vorhang um die Vitrine herum angebracht.
Auf jeden Fall: Dieser Ort ist einfach perfekt. Auch inhaltlich. Der flämische Rat für die Erhaltung des beweglichen Kulturerbes, die Feuerwehr, der flämische Tourismusdienst, das Unternehmen Inter, das sich für Barrierefreiheit einsetzt: Alle hatten eine Meinung. Aber letztendlich musste die Kirchenverwaltung die Entscheidung treffen: Wir dürfen ja die religiöse Bedeutung nicht vergessen. Und ein neues Zuhause ganz vorne in der eigentlichen Kathedrale, das stimmt einfach.
Sicherheit ist heilig
Das Glas der Vitrine entspricht dem neuesten Stand der Technik. Es ist beheizt, um selbst die kleinste Temperaturschwankung zu vermeiden, und natürlich ist es enorm stark. Eine gestohlene Tafel reicht für uns. Übrigens, was die Tafel mit den Gerechten Richtern betrifft: Hier kann man wirklich den Effekt der Restaurierung sehen.
Als Jef Van der Veken 1939 als Ersatz eine Kopie der gestohlenen Tafel malte, berücksichtigte er bei den Farben den vergilbten Zustand des Genter Altars. Heute wurde der verfärbte Lack von den anderen Tafeln entfernt, sodass die Himmel jetzt wieder ganz blau leuchten. Diese Farbe stimmt also nicht mehr überein. Deshalb haben wir jetzt einen blauen Scheinwerfer nur auf diese eine Tafel gerichtet, damit sie besser zum Ganzen passt.
Ob der Genter Altar sich jetzt wirklich am perfekten Ort befindet? Entdecken Sie es selbst und nehmen Sie sich die Zeit dafür. Selbst habe ich die versäumten Besuche schon längst eingeholt.
Maaike Blancke
Genterin Maaike Blancke (Bressers Architecten) ist eine Kunstwissenschaftlerin, Innenarchitektin und Restaurierungsexpertin. Sie arbeitete schon an einigen Genter Blickfängen wie dem Konzertpavillon im Citadelpark und dem Rathaus, aber ihre größte Verwirklichung ist das neue Besucherzentrum der St.-Bavo-Kathedrale - mit restauriertem Genter Altar.